
Informationen zum aktuellen Zustand der Pflegeberufe
Pflege geht jeden an. Vom Neugeborenenzimmer bis zum Hospiz – in allen Phasen des Lebens gibt es Zeiten, in denen Menschen pflegerische Unterstützung brauchen. Und genauso vielfältig wie der pflegerische Versorgungsbedarf sind die Arbeitsfelder derjenigen, die Pflege als berufliche Dienstleistung erbringen. Ihre Zahl ist groß – knapp 900.000 Frauen und Männer mit mindestens dreijähriger pflegerischer Ausbildung sind derzeit im Pflegeberuf tätig, dazu viele Tausende mit Assistenz- und Helferqualifikation.
Professionell Pflegende gehen in die Häuser, um pflegebedürftige Menschen in deren Wohnung zu unterstützen, sie sorgen auf Palliativstationen für ein schmerz- und angstfreies Lebensende in Würde, sie bringen umfangreiches Spezial- und Erfahrungswissen ein, damit Schwerstkranke oder kleinste Frühgeborene auf Intensivstationen überleben können. Pflegefachpersonen müssen sich in ihrem beruflichen Alltag immer neuen Anforderungen stellen: sie behandeln, entscheiden, hören zu und beraten, gestalten den Alltag und koordinieren. In ihrem Beruf sind sie rund um die Uhr zentrale Ansprechpartner.
Menschen werden älter:
Die Pflegeberufe brauchen mehr qualifizierten Nachwuchs
Bis 2050 wird sich die Zahl der Pflegebedürftigen in Deutschland voraussichtlich auf 4,21 Mio. Menschen erhöht haben. Gegenüber den 2,45 Mio. Pflegebedürftigen 2012 ist das eine Steigerung von 72%. 2020 werden bereits 2,78 Mio. Pflegebedürftige erwartet – 13% mehr als 2012.*
Grund dafür ist der Anstieg der Lebenserwartung: 2060 werden Männer in Deutschland eine durchschnittliche Lebenserwartung von 84,5 Jahren haben, Frauen sogar eine von 89 Jahren. Zu diesem Zeitpunkt wird der Anteil älterer, nicht erwerbstätiger Menschen im Vergleich zur erwerbstätigen Bevölkerung auf 72% gestiegen sein (2007: 17%).**
Bereits 2010 sagte eine Studie des Statistischen Bundesamtes (Destatis) und des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) voraus, dass im Jahr 2025 rund 152.000 Beschäftige in den Pflegeberufen fehlen werden; umgerechnet auf die volle tarifliche Arbeitszeit entspricht das 112.000 Pflegevollzeitstellen. Experten sagen voraus, dass der bislang hohe Zugewinn an fachfremdem Pflegepersonal spätestens ab 2018 nicht mehr ausreichen wird, um den steigenden Bedarf zu decken.
[* Bundesministerium für Gesundheit, BKK Bundesverband, April 2013]
[** The Lancet – Bericht zum Thema Altern in Europa, April 2013]
Das Personal in der Pflege wird bereits knapp
Die OECD bemängelt in ihrer Studie „Help wanted?“ aus dem Mai 2011, dass viele Länder nur mit stückhaften Ausbesserungen auf den ansteigenden Pflegebedarf reagieren anstatt mit nachhaltigen Initiativen. Auf 100 Über-80-Jährige kommen heute in Deutschland nur etwa 11 Vollzeit-Altenpfleger – zum Vergleich: In Schweden sind es etwa 33. Dieses Verhältnis wird sich drastisch verschlechtern, wenn nicht mehr Menschen für die Pflegeberufe gewonnen werden können.
2013 zeigten die Zahlen der Europäischen Kommission, dass die Neueinstellungen von Fachpersonen in der Pflege erstmals seit Jahren rückläufig waren. Das ist nicht etwa auf eine Sättigung des Arbeitsmarktes zurückzuführen, sondern auf das Fehlen von Arbeitskräften, die hätten eingestellt werden können: Am 1. Mai 2013 waren in Europa mehr als 110.000 Arbeitsstellen in den „weißen Berufen“ unbesetzt, davon über 40% im Sektor „Pflege und verwandte Berufe“. „Pflegekräfte im Gesundheitswesen“ belegten bei den Berufen mit den besten Beschäftigungschancen den ersten Platz, noch vor „Entwickler und Analysten für Softwareanwendungen“. In Deutschland standen 2013 im Durchschnitt 3.750 arbeitslosen Fachkräften in Gesundheits- und Pflegeberufen 9.720 offene Stellen gegenüber.*
[* Statistik der Bundesagentur für Arbeit]
Großes Vertrauen, schlechtes Image – Pflege ist kein attraktiver Beruf
Initiativen wie der „Ausbildungs- und Qualifikationsoffensive Altenpflege“ des BMFSFJ mit rund 30 Partnern aus Bund, Ländern und Verbänden sind ein Anfang im Kampf gegen den Fachkräftemangel. Im Schuljahr 2013/2014 konnten 26.740 Eintritte in eine Altenpflegeausbildung registriert werden – ein neuer Spitzenwert.
Insgesamt ziehen aber nur wenige Abgänger allgemeinbildender Schulen einen Pflegeberuf in Betracht – und die Zahl der Abgänger sinkt obendrein. Eine Studie des Instituts für Public Health und Pflegeforschung der Universität Bremen hat 2010 herausgefunden, dass überhaupt nur 1,9% der Jungen und immerhin 10,4% der Mädchen auf allgemeinbildenden Schulen sich vorstellen können, einen Pflegeberuf zu ergreifen. Hauptgrund dafür ist laut der Studie das negative Image des Berufsbildes Pflege, sowohl bei den Schülern als auch bei deren Eltern. Scheinbar im Widerspruch dazu belegen andere Studien wiederum, dass die Bevölkerung in Deutschland vor allem den „weißen“ Berufsgruppen wie Ärzten und Pflegefachpersonen großes Vertrauen entgegenbringt.
Angesichts hoher Arbeitslosenzahlen besteht hier aber die Chance, dass sich die Pflege zu einem Jobmotor der Zukunft entwickeln kann. Dazu müssen sowohl Politik, als auch die Pflegebranche dringend an der Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Pflege arbeiten, um die Attraktivität der Branche zu erhöhen.
Hoch belastet – Arbeitsbedingungen in der Pflege
Zwar liegt Deutschland im internationalen Vergleich vorne, wenn es um die Zahl der Krankenhausbetten pro Einwohner geht (2013: 7,3 Betten/1.000 Einwohner*), ganz anders stellt sich die Situation allerdings beim dazugehörenden Pflegepersonal dar: Mit einem durchschnittlichen Personalschlüssel von 10,3:1 teilt sich Deutschland im EU-Vergleich zusammen mit Spanien den letzten Platz, weit hinter den Spitzenreitern Norwegen (3,8:1), Niederlande (4,9:1), Schweiz (5,5).** Während die Zahl der Patienten in Krankenhäusern von 2003 bis 2011 von 17,3 Mil. auf 18,34 Mil. stieg, sank die Zahl der Pflegekräfte im gleichen Zeitraum von 320.158 auf 310.817 (Vollzeitäquivalente).*** Ähnlich sieht die Situation bei der Altenpflege aus: Hohe Personalschlüssel, zu wenige Pflegefachpersonen. Dementsprechend stellt sich der Berufsalltag der Pflegenden dar:
- 77% leisten Schichtarbeit
- 50% leisten Nachtschichten
- mehr als 90% arbeiten an Sonn- und Feiertagen
- 68% der Pflegenden müssen häufig schwer heben (zum Vergleich: Bauarbeiter 54%)
- Beschwerden durch Muskel- und Skeletterkrankungen sind deutlich häufiger als in anderen Branchen
- 27% der Pflegenden haben das Gefühl, häufig an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit gehen zu müssen (alle anderen Berufe: 16,7%)
So verwundert es nicht, dass die Verweildauer im Beruf in der Altenpflege mit 8,4 Jahren und in der Krankenpflege mit 7,5 Jahren äußerst niedrig liegt.
[* Deloitte, Global Healthcare Outlook 2015]
[** Internationale Pflegestudie RN4Cast 2011]
[*** Statistisches Bundesamt]
Gehälter in der Pflege – Altenpflege ist weniger wert
Für Pflegende in Pflege- und Betreuungseinrichtungen beträgt das Einstiegsgehalt 2.133 EUR (Entgeltgruppe E 7a TVöD B); nach 15 Berufsjahren können daraus 2.900 EUR (Erfahrungsstufe 6) zzgl. Schicht- und Nachzulagen werden. Durch Privatisierung von Kliniken und Pflegeeinrichtung sowie gezielte Outsourcing-Strategien bis hin zur Gründung eigener Leiharbeitsfirmen kommen die Tariflöhne jedoch immer seltener zur Anwendung. So sind vor allem die Pflegenden in den letzten Jahrzehnten zu Verlierern in der Lohnhierarchie geworden.
Stark ist auch das Gefälle in der Krankenhaus- und Altenpflege: In den ostdeutschen Bundesländern verdienen Fachpersonen in der Altenpflege etwa 30% weniger als solche in Krankenhäusern; 18% weniger sind es durchschnittlich in den westlichen Bundesländern. Diese Zahlen ergab eine Studie des Bundesministeriums für Gesundheit (2015).
Seit Januar 2015 gelten immerhin neue Mindestlöhne für Pflegeberufe.