Susanne Marquardt ist Co-Sprecherin der Fachgruppe Schmerz im DBfK. Im Interview erklärte sie, wie man Pflegeexpertin für Schmerz werden kann, was die Pflege von Menschen mit Schmerzen auszeichnet und womit sich die Fachgruppe beschäftigt.
DBfK aktuell: Sie sind Pflegeexpertin für Schmerz. Wie
hat sich Ihr beruflicher Weg entwickelt?
Susanne Marquardt: Ich habe 2002 mein Examen als Krankenschwester gemacht und
zunächst viele Jahre in der Anästhesie- und Intensivpflege gearbeitet. Dort
habe ich auch die zweijährige Fachweiterbildung absolviert. Anschließend habe
ich die Zusatzqualifikation als Praxisanleiterin erworben und ein
Bachelorstudium in Angewandte Pflegewissenschaft abgeschlossen. Zurzeit
studiere ich im Masterstudiengang Pflegewissenschaft an der Universität
Freiburg. Besonders prägend war für mich 2009 die Weiterbildung in Spezieller
Schmerzpflege – damals noch „Pain Nurse“ – und seither ist das Thema
Schmerzmanagement mein berufliches Herzstück.
Was genau versteht man unter „Spezieller Schmerzpflege“?
Es handelt sich um eine anerkannte pflegerische Weiterbildung, die sich gezielt
mit akutem wie chronischem Schmerz beschäftigt. Man erwirbt Kompetenzen, um
Schmerzen strukturiert zu erfassen, pflegerische Interventionen einzuleiten und
Therapien zu begleiten. Ganz wichtig ist dabei die interprofessionelle Zusammenarbeit,
denn Schmerztherapie ist immer Teamwork. Pflegefachpersonen, Ärzt:innen, Psycholog:innen,
Physio- und Ergotherapeut:innen – alle arbeiten zusammen, um Schmerzen zu
lindern und die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern. Keine Disziplin
kann das allein leisten.
Wie sieht die Arbeit einer Schmerzexpertin im Alltag aus?
Das ist ganz unterschiedlich. Im Akutschmerzbereich arbeiten viele Kliniken mit
Schmerzdiensten, die ärztlich und pflegerisch besetzt sind und gemeinsam
Visiten durchführen. In der Therapie chronischer Schmerzen ist das Team oft
noch breiter aufgestellt – mit Psycholog:innen, Physio- und Ergotherapeut:innen
und natürlich der Pflege. Ich selbst habe in einer universitären Schmerzambulanz
gearbeitet und dort auch eigenständig Patient:innen betreut, zum Beispiel mit
Verfahren wie Transkutaner Elektrischer Nervenstimulation, Spiegeltherapie oder
Biofeedback. Wichtig ist immer, verschiedene Therapieverfahren miteinander zu
kombinieren und bei akuten Schmerzen frühzeitig anzusetzen, damit Schmerzen erst
gar nicht chronifizieren können.
Hat sich in den letzten Jahren das Bewusstsein für
Schmerz verändert?
Ja, absolut. Früher wurde Schmerz manchmal verharmlost und nicht immer ernst
genommen. Heute wissen wir: Jeder Mensch, der Schmerzen äußert, hat Schmerzen.
Punkt. Unsere Aufgabe ist es, diese wahrzunehmen, einzuschätzen und zu
behandeln. 2009 wurde chronischer Schmerz erstmals als eigenständiges
Krankheitsbild in die ICD-10 Klassifikation aufgenommen. Das hat sehr geholfen,
das Thema stärker ins Bewusstsein zu rücken.
Wo sehen Sie Verbesserungsbedarf?
In den letzten 20 Jahren wurde viel erreicht, aber es gibt noch Lücken. Oft
fehlt es an klaren Strukturen, wer welche Rolle im interprofessionellen Team
übernimmt. Auch in der pflegerischen Ausbildung könnten Schmerzmanagement und
Schmerzerfassung noch stärker verankert sein. Idealerweise sollte es in jeder
Einrichtung Pflegefachpersonen mit spezieller Schmerzexpertise geben – nicht
nur in Krankenhäusern, sondern auch in der Langzeitpflege und der ambulanten Versorgung.
Gerade dort werden wir in Zukunft große Versorgungslücken sehen, weil viele niedergelassene
ärztliche Schmerztherapeut:innen in Rente gehen.
Welche Rolle spielt die Pflege im Schmerzmanagement?
Pflegefachpersonen übernehmen zentrale Aufgaben: Schmerzen systematisch zu
screenen, zu beurteilen und entsprechende Maßnahmen einzuleiten. Das reicht vom
Einsatz des Expertenstandards „Schmerzmanagement in der Pflege“ über die
tägliche Schmerzerfassung, die Edukation bzw. Schulung der Patient:innen, bis
hin zu konkreten Interventionen. Wichtig ist, Patient:innen nicht allein zu
lassen, gerade wenn sie stärkste Schmerzen erleben.
Sie haben von „Edukation“ gesprochen – warum ist sie so
wichtig?
Weil Schmerzen oft hilflos machen. Vielen Menschen gibt es Sicherheit, wenn wir
erklären, wie Schmerz entsteht, welche Faktoren ihn beeinflussen und was sie
selbst tun können. Gerade bei chronischen Schmerzen ist ein ganzheitliches
Verständnis nach dem biopsychosozialen Modell wichtig: Neben biologischen
Ursachen spielen psychische und soziale Faktoren eine große Rolle. Wer beispielsweise
seit Jahren Rückenschmerzen hat, bewegt sich weniger, verliert soziale
Kontakte, kann vielleicht nicht mehr arbeiten – das verstärkt den Schmerz
zusätzlich. Wenn Betroffene diesen Kreislauf verstehen, können sie
selbstwirksam handeln: Selbstmanagementkompetenzen erwerben, Bewegung trotz
Schmerzen wagen, ergänzende Verfahren ausprobieren. Das ist oft der erste
Schritt, um aus der Passivität herauszukommen und das Schmerzerleben positiv zu
beeinflussen.
Sie engagieren sich in der Fachgruppe Schmerz des DBfK.
Was passiert dort?
Wir sind eine Gruppe von Pflegefachpersonen mit verschiedenen
Qualifikationsniveaus und Fähigkeiten aus ganz unterschiedlichen Einrichtungen.
Uns verbindet die Leidenschaft für ein gutes Schmerzmanagement. In der
Fachgruppe tauschen wir uns aus, unterstützen einander und entwickeln
Positionen und Materialien – zum Beispiel die aktuellen Broschüren über
„Wohltuende Maßnahmen bei Schmerzen“. Und wir freuen uns sehr, wenn neue
Kolleg:innen dazukommen, die ihre Expertise einbringen möchten.
Haben Sie einen Tipp für Pflegefachpersonen, die noch
keine spezielle Weiterbildung haben?
Mein wichtigster Tipp: Schmerzen niemals übergehen. Wenn ein Mensch Schmerzen
äußert, dann hat er Schmerzen. Ernst nehmen, zuhören, gemeinsam nach Lösungen
suchen. Und immer wieder nachfragen, ob Schmerzen vorhanden sind und eine
Maßnahme geholfen hat. Schon kleine Interventionen können viel bewirken – und
oft macht genau das den Unterschied.
Interessante Veröffentlichungen:
Curriculum zum Pflegerischen Schmerzmanagement
Wohltuende Maßnahmen bei Schmerzen für Kinder und Jugendliche
Wohltuende Maßnahmen bei Schmerzen für Erwachsene
Bei Interesse an einer Mitarbeit in der Fachgruppe Schmerz kannst du dich an dbfkdbfkd wenden.