Community Health Nurses aus allen Teilen Deutschlands besuchten nicht nur den ICN-Kongress in Helsinki, sondern auch Einrichtungen der finnischen Gesundheitsversorgung. Ihr Ziel war, neben dem ICN-Kongress das oft gelobte und ganz anders strukturierte finnische Gesundheitssystem zu erkunden.
Das Community Health Nursing-Projekt der Agnes-Karll-Gesellschaft im DBfK mit Förderung des Bosch Health Campus der Robert Bosch Stiftung ermöglichte die Reise vom 10.-12. Juni. Die insgesamt 14 angehenden und erfahrenen Community Health Nurses (CHN) konnten so drei Einrichtungen in und um Helsinki besuchen: das Digital Health Village des Universitätsklinikums (HUS), das Samaria Health Centre im nahegelegenen Espoo und das Itäkatu Family Centre im Osten der Hauptstadt.
So lehrreich, aber auch kompliziert sich der Systemvergleich zwischen Deutschland und Finnland im Detail gestaltet, so augenfällig waren der Geist und die Selbstverständlichkeit, was Pflegefachpersonen leisten können, wenn sie ihre erlernten Kompetenzen umfassend nutzen können, weil diese rechtlich verankert sind.
Was treibt Community Health Nurses an?
Dieser Geist war den Teilnehmenden der Studienreise nicht fremd, jedenfalls in der Theorie und auf Umwegen auch in der deutschen Praxis. Alle haben oder absolvieren (mindestens) einen Masterabschluss, mehrere sind auf dem Weg zur Promotion und fast alle haben ihre Berufsausbildung bereits vor dem Bachelorstudium abschlossen (nicht parallel). Die meisten CHN studierten oder studieren berufsbegleitend und nehmen
dafür in den Präsenzphasen teils weite Anreisen und große Mühen auf
sich.
Die akademischen Meriten stammen aus Dresden, Esslingen, Fulda, Jena, Vallendar und sogar Taipeh, neben Advanced Nursing Practice und Community Health Nursing auch in Interdisziplinärer Gesundheitsversorgung oder Global Health and Development.
Was treibt diese Menschen an, nicht nur ihre Ausbildungszeit mit einem Bachelor zu verdoppeln und mindestens einen Masterabschluss, wenn nicht noch eine Promotion obendrauf zu setzen – sondern damit auch auf befristeten Projektstellen zu arbeiten, deren Tätigkeitsbereich sie sich selbst erschließen müssen? Scheu vor der Praxis, die Studierenden mancher Fächer bisweilen nachgesagt wird, ist es mit Sicherheit nicht, eher die ausgeprägte Lust auf eine andere Praxis in der direkten Patientenversorgung.
Das bringt uns zurück nach Finnland. Jede der drei besuchten Einrichtungen stand für ein anderes Merkmal des finnischen Gesundheitssystems und Pflegeverständnisses, von dem die Prävention und Versorgung in Deutschland lernen könnte.
Digital Health Village: Pflege digital unterstützt
Jede:r Bürger:in Finnlands hat Anspruch auf die steuerfinanzierte Gesundheitsversorgung – und eine elektronische Gesundheitsakte (Kanta), auf die Patient:innen, Behandelnde und Pflegende Zugriff haben, mit Schnittstellen für spezielle Dienste.
Das Digital Health Village, erste Station der Studienreise, bietet eine cloudbasierte Serviceplattform, die die persönliche Behandlung und Pflege unterstützt.
Hinzu kommen rein online verfügbare Angebote für Prävention und Selbstmanagement, etwa für Patient:innen mit Diabetes oder leichten bis mittelschweren psychischen Erkrankungen.
Zurzeit gibt es 15 Programme und zwölf sogenannte Behandlungspfade. Sie werden laufend evaluiert, erweitert und perspektivisch verschränkt. In diese Prozesse ist die Profession Pflege fortwährend eingebunden. Insgesamt wirkten die Leichtigkeit und Lösungsorientierung im Umgang mit digitalen Diensten – und zwischen den Professionen – erfrischend und vorbildhaft, bei allen Problemen mit unterschiedlichen Systemen und Schnittstellen zwischen den Regionen und Einrichtungen, die es auch in Finnland gibt.
Samaria Health Centre: Pflege koordiniert vor Ort
Lokal sind in Finnland sogenannte Gesundheitsstationen (terveysasema) die erste und wichtigste Anlaufstelle. Die Gruppe besuchte eine von acht dieser Einrichtungen in Espoo nordwestlich von Helsinki. Dort arbeiten 22 Ärzt:innen und 35 Pflegefachpersonen. Letztere übernehmen den Erstkontakt und koordinieren die weitere Versorgung. Bald ist das ausschließlich den akademisch ausgebildeten Registered bzw. Public Health Nurses (eine Spezialisierung, aufbauend auf dem Bachelor-Abschluss) vorbehalten. Anders als beruflich ausgebildete Practical Nurses stellen nur sie bereits jetzt Pflegediagnosen und verantworten auch die Pflegeplanung.
Diese stärkere Differenzierung zeigt sich auch in der Organisation von Berufsgruppen im finnischen Gesundheitssystem. Practical Nurses haben eine eigene Gewerkschaft mit einem Organisationsgrad von fast 90 Prozent. Höher bzw. akademisch qualifizierte Pflegefachpersonen sind ebenfalls stark gewerkschaftlich organisiert, aber gemeinsam mit anderen Gesundheitsberufen. Daneben gibt es auch einen Pflegeberufsverband, der Mitglied im ICN und mit dem DBfK vergleichbar ist, aber fast dreimal so groß bei deutlich weniger Pflegefachpersonen (auch wenn deren Anteil im Verhältnis zur Bevölkerung und zu Ärzt:innen deutlich höher liegt als in Deutschland).
Itäkatu Family Centre: Pflege in voller Verantwortung
1922 gründete der finnische Arzt Arvo Ylppö in Helsinki eine Beratungsstelle für Kindergesundheit. Auch das Familienzentrum, das die Gruppe als letztes besuchte, steht in dieser damals begründeten Tradition der „Neuvola“, wie es auf Finnisch heißt.
Betreuung und Leitung liegen dort ausschließlich in der Hand von Pflegefachpersonen, die bei Bedarf Ärzt:innen hinzuziehen (Hebammen sind im Krankenhaus tätig).
Ylppös Ansatz eines niedrigschwelligen integrierten Angebots ist auch bei einem neuen Gesetz zur besseren Versorgung von Kindern mit multiplen Problemen handlungsleitend. Schon jetzt tauschen sich die Pflegefachpersonen mit Kitas und sozialen Diensten aus. Diese übergreifende Koordination wird nun noch stärker im Familienzentrum verankert. Vier Public Health Nurses kümmern sich zudem um Migrant:innen ohne Papiere, von denen es im Einzugsgebiet des Familienzentrums viele gibt.
Fazit: Teambuilding für ein gemeinsames Ziel
Die Studienreise bot nicht nur eine fachliche Exkursion, sondern ermöglichte auch vielfältige Einblicke und Vergleiche, die sowohl die Potenziale als auch die Grenzen des deutschen Gesundheitssystems in Bezug auf die eigenständige Ausübung des Pflegeberufs verdeutlichten. Sie wurde auch zu einer Teambuilding-Erfahrung für die Pionier:innen der CHN-Rolle in Deutschland. Denn alle vereint das gemeinsame Ziel einer starken, zukunftsfähigen Profession und die überfällige dauerhafte Etablierung und Ausgestaltung ihrer Rolle. Aber vor Ort müssen sie sich zwangsläufig oft noch ihren jeweils eigenen Weg bahnen.
Die Fachgruppe der CHN im DBfK war bislang schon sehr aktiv und ist nun noch enger vernetzt. Das wird nicht zuletzt mit Blick auf die am Ende des kommenden Jahres auslaufende großzügige Förderung durch den Bosch Health Campus der Robert Bosch Stiftung für die Zukunft des Berufsbilds CHN in Deutschland von großem Wert sein.
(HS)