Vier Fragen an Jens Stüwe

05.04.2024

Vier Fragen an Jens Stüwe
Vier Fragen an Jens Stüwe

Jens Stüwe (dritter von rechts) studierte Interprofessionelle Gesundheitsversorgung an der Alice Salomon Hochschule Berlin und macht derzeit einen Master in Community Health Nursing an der Evangelischen Hochschule Dresden. Daneben arbeitet er als Pflegefachmann für Intensiv und Anästhesie und ehrenamtlich beim Stadtteil-Gesundheits-Zentrum in Berlin-Neukölln. Die integrierte Stadtteilarbeit liegt ihm besonders am Herzen.

Ehrenamt ist Ehrensache. Was fasziniert dich so am Community Health Nursing, dass du deinen Beruf auch zum „Hobby“ machst?

Community Health Nursing ist kein Hobby für mich, sondern ein wirksamer Beitrag für eine bessere Versorgung, mehr gesundheitliche Chancengleichheit in diesem Land und die Vision nicht nur meiner Aktivität. Es ist der Weg, den ich nun seit 2019 gehe und auf dem ich das relevante Wissen einsammle und bedarfsorientiert verknüpfe, wie Community Health Nurses das machen. Aktivismus oder Ehrenamt aber gehören zur DNA unserer Einrichtung in Berlin-Neukölln, die von 2014 an daraus entstand, sich mit tatkräftiger Unterstützung schrittweise verstetigte und die sich immer noch aktiv und vielfältig in den Kiez hinein entwickelt.

Als ich hier Ende 2019 zum ersten Mal beim Neuentreffen vorbei schaute, gab es – neben bereits etablierten Stellen und einer Vielzahl ehrenamtlicher Aktivität – bereits ein kleines Büro, eine Baustelle und einige bereits etablierte Angebote. Ich engagierte mich hier anfangs in der AG Gemeinwesenarbeit ehrenamtlich und begann mich dem Thema Sozialraum anzunähern, was als Intensivpfleger völlig neu für mich war. Mich interessierte das Thema der interprofessionellen Zusammenarbeit in einem neuen Versorgungssetting, nicht zuletzt weil ich mich gerade im Bachelorstudium befand und in gängigen Einrichtungen schwierige Voraussetzungen für wirklich grundsätzliche Prozessveränderungen wahrgenommen habe. Ich brachte also von Anfang an ein konkretes Interesse mit, was ich immer als Projektlernen aufgefasst habe.

Im Unterschied zu anderen Kollegen wie z.B. an der Poliklinik Veddel oder dem PORT-Zentrum Hohenstein begannen wir in Neukölln unsere pflegerische Arbeit aus verschiedenen Gründen heraus nicht mit einem konkreten Projekt, sondern mussten zu diesem Thema in einem kleinen Team Engagierter quasi ein System von Notbehelfen erschaffen, die den Rahmenbedingungen einer Einrichtung im Aufbau, unseren realistischen Möglichkeiten und ganz konkreten Bedarfen der Bevölkerung und der zu Versorgenden in einem sehr komplexen Sozialraum entsprechen sollten.

Meine Kollegin Eva Weirich (im Bild ganz rechts) leistet seit Anfang 2021 bereits viel im Bereich des Community Health Nursing im Stadtteilgesundheitszentrums Neukölln und ist fest in das Team und den Alltag integriert. In einer Pflege-Arbeitsgemeinschaft, die für uns alle ehrenamtliche Arbeit ist, haben wir über die Jahre Schritt für Schritt gemeinsam ein immer konkreteres Profil entwickelt. Ich leiste natürlich nicht ausschließlich ehrenamtliche Arbeit, sondern integriere vielmehr das Wissen, das ich erworben habe oder erwerbe, in konkrete Projekte, in denen ich auch Honorar erhalte. Die konkrete Konzeptarbeit, Netzwerkarbeit und die regelmäßigen Austauschformate, in der sich ein Großteil der Arbeit für uns abspielt, bleiben jedoch meist im ehrenamtlichen Bereich. Hier bleiben unsere Möglichkeiten aus nachvollziehbaren Gründen oft leider begrenzt. Das ist bisher also vielmehr eine kreative Verknüpfung der ganz realistischen Möglichkeiten.

Nach dieser nicht immer leichten, oft auch entbehrungsreichen, aber auch spannenden Anfangsphase professionalisieren wir uns nun endlich und das sogar gemeinsam im Team mit den Kolleg:innen aus Hamburg und ihren wertvollen Erfahrungen in einem gemeinsamen Innovationsfond-Projekt. Dass wir von Anfang an bereits einen guten und lebendigen Austausch miteinander gehabt haben, wird uns dabei sehr weiterhelfen.

Genau solches Engagement braucht es wahrscheinlich, um den Pflegeberuf voranzubringen. Was glaubst du, warum tut sich die Branche in Deutschland teilweise noch schwer, für ihre Kompetenz und ihr Ansehen einzutreten?

Oft habe ich den Eindruck, dass uns hierzulande die Fantasie und das Selbstbewusstsein für den Reichtum der Pflege allgemein, vor allem aber auch erweiterter pflegerischer Praxisrollen schlichtweg fehlt. Dabei gibt es hier seit Jahren vielfältige Aktivitäten und unzählige internationale Vorbilder, die wir für eine zukunftsfeste, an den Menschen orientierte pflegerische Versorgung integrieren müssen. Ich denke, dass Pflegende in der Praxis mehr darüber erfahren und ihre positiven Erfahrungen ganz allgemein öfter erzählen sollten. Vor Jahren bin ich einmal auf ein altes Pflegelehrbuch mit dem treffenden Titel „3000 Jahre Pflege“ gestoßen. Mit solchem Bewusstsein erscheint es viel leichter Pflege als eine eigenständige Kultur in der Versorgung zu begreifen und dafür mit den eigenen Möglichkeiten trotz der Wiederstände selbstbewusst einzustehen.

Neben Studium, Praktika und Ehrenamt unterrichtest du auch selber. Was ist dir besonders wichtig zu vermitteln?

Ich bin ein Verfechter lebenslangen Lernens und hoffe, dass mir dies in den Lehrveranstaltungen auch einigermaßen gelingt zu vermitteln. Ich sehe mich als Lerner und Begleiter auf Augenhöhe, der einen sicheren, strukturierten Rahmen für Lernen, Austausch und eine offene Feedbackkultur schaffen möchte. Ich glaube daran, dass wir nur auf diese Weise die künftige Versorgung entwickeln können.

Diese Haltung bringe ich aus meiner pflegerischen Praxis mit. Hier habe ich immer unzählige Menschen getroffen, die viele Dinge ohnehin viel besser wissen als ich. Das ist auch gut so. Meine Aufgabe ist diese vielfältigen Perspektiven zu organisieren und Räume zu schaffen in denen sich Austausch und Lernen für eine integrierte, patienten- und populationsbezogene Versorgung vollziehen kann. Das sind die Muskeln, die wir in der Lehre trainieren müssen. Dafür sind eben interprofessionelle Kompetenzen nötig, die ich da einbringe und bei den Lernenden gern stärken möchte.

Auch ist mir wichtig das Bewusstsein für adäquate technische Infrastruktur und digitale Kompetenzen zu fördern, die einen grundsätzlichen Ermöglichungscharakter für ein wirksames Lernen und die Zusammenarbeit nicht nur in integrierten Versorgungssettings haben. Das ist auf der pflegerischen Ebene so, im interprofessionellen Team, mit den Menschen vor Ort und auch in der Zusammenarbeit mit regionalen und überregionalen Akteuren der Fall. Es ist seltsam im Nebel von unklaren Entwicklungen zu wandern. Da müssen wir lernen uns gut zu orientieren, immer in produktivem Austausch zu bleiben und kreativ den Mangel zu gestalten.

Tahnee Leyh, Gemeindegesundheitspflegerin im brandenburgischen Luckau, ist in der Region verwurzelt. Welchen persönlichen Bezug hast du zu Berlin-Neukölln und wie wichtig ist das für deine Arbeit?

Mit solcher Verwurzelung kann ich nicht dienen. Auch wenn ich als Mecklenburger in Berlin ganz sicher keinen Anspruch mehr auf Migrationshintergrund stellen kann, wie das wohl noch im 19. Jahrhundert gewesen wäre, sehe ich mich als einfachen Zugezogenen, Bewohner, aber auch feurigen Verehrer dieses Stadtteils und der Menschen hier.

Ich komme hier täglich mit einem extrem vielfältigen und komplexen Lebensraum, unterschiedlichen Lebenswelten und Entwürfen in Kontakt. Zudem spaziere ich hier in der Freizeit gern, was der Arbeit einer Community Health Nurse sehr zugute kommt. Viele Menschen hier sind täglich mit Diskriminierungs- wie Ausgrenzungserfahrungen und schwierigen Lebens- und Arbeitsverhältnissen konfrontiert, obwohl Neukölln ihr Zuhause ist. Dabei bringen sie vor allem auch mannigfaltige Ressourcen mit. All jenen beim Ermöglichungsgut Gesundheit, gemeinsam mit den etablierten Akteuren, eine partnerschaftliche Unterstützung anzubieten, sehen wir im Team als unsere Aufgabe an und wollen Beteiligung ermöglichen. Es geht um Gesundheit für alle.

Am 12. Mai 2024 ist Jens Stüwe gemeinsam mit Tahnee Leyh ab 11 Uhr zu Gast beim Brunch & Talk zum Internationalen Tag der Pflegenden in der Berliner Geschäftsstelle des DBfK Nordost. Mitglieder und Begleitung sind herzlich willkommen. Hier geht's zur Anmeldung.

Für Fragen rund um Community Health Nursing gibt es darüber hinaus eine Fachgruppe im DBfK, Kontakt: chn-fachgruppe@dbfk.de

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